Introjekte - Verborgene Stimmen in unserem Inneren
Aktuell begegnet mir in meiner Arbeit regelmäßig das Thema des Introjekts. Daher habe ich mich wieder intensiver damit beschäftigt und einen Text für mich geschrieben. Gerade im Zusammenhang mit dem Modell des inneren Teams - was ich regelmäßig in meinen Beratungen nutze - ist es hilfreich zu verstehen, was mit einem Introjekt gemeint ist. Denn für mich ergibt sich daraus ein besseres Verständnis über Handlungsmuster und Verhaltensweisen, die ich an mir entdecke.
Entstehung
Seinen Ursprung hat das Konzept der Introjektion in der Psychoanalyse. Der ungarische Psychoanalytiker Sándor Ferenczi (1909) führte den Begriff "Introjektion" erstmals in die psychoanalytische Literatur ein. In seinem Aufsatz "Introjektion und Übertragung" beschrieb er Introjektion als Gegenstück zur Projektion - als Prozess, bei dem die Außenwelt in das Ich aufgenommen wird.
Freud griff das Konzept auf und entwickelte es im Rahmen seiner Theorie der Ich-Entwicklung weiter. In seinen Schriften "Trauer und Melancholie" (1917) und später in "Das Ich und das Es" (1923) beschrieb er, wie Menschen geliebte und verlorene Objekte durch Identifikation und Introjektion in ihr Ich aufnehmen.
Heute hat sich das Konzept der Introjektion zu einem fachübergreifenden Konstrukt entwickelt. Es wird weiter erforscht und findet Anwendung in verschiedenen psychologischen Schulen, der Neurobiologie und den Sozialwissenschaften.
Spannende Klassiker der Literatur zu dem Thema sind "Ich und Du" von Martin Buber (1923, philosophischer Hintergrund zu Introjekten), sowie "Die Kunst des Liebens" von Erich Fromm (1956, behandelt Introjekte im Kontext von Beziehungen).
Seit den 2000er-2010er Jahren haben Forscher wie Allan Schore und Daniel Siegel Verbindungen zwischen Introjektionsprozessen und neurologischen Entwicklungen hergestellt, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung von Emotionsregulation und Selbstwahrnehmung. Hier wurde nachgewiesen, dass "negativ bewertete" Introjekte mit chronischem Stress, HPA-Achsen-Dysregulation und psychosomatischen Erkrankungen in Verbindung stehen können.
Definition
Für mich ist es immer wieder interessant, mir den Ursprung eines Wortes anzuschauen, um einen Zugang zum Thema zu bekommen. Die Herkunft des Wortes "Introjekt" leitet sich wie folgt aus dem Lateinischen her:
- "Intro": bedeutet "hinein", "herein" oder "innerhalb"
- "Iacere": bedeutet "werfen"
Introjektion beschreibt entsprechend den Prozess der Aufnahme und die Verinnerlichung von Werten und Normen im Rahmen der Sozialisation eines Menschen.
Übergeordnet handelt es sich um Traditionen, Ansichten, Wertvorstellungen und Glaubenssysteme, in die ein Kind hineingeboren wird - den Kulturkreis, in dem ein Kind aufwächst. Weiter handelt es sich auch um konkrete Werte und Überzeugungen, die die Eltern/Bezugspersonen vorgeben und die vom Kind erstmal unfreiwillig verinnerlicht werden. Unfreiwillig verinnerlicht, weil das Kind in den ersten 1-3 Lebensjahren diesen Regeln und Werten ausgesetzt ist, ohne selbst aktiv beteiligt zu sein.
Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass es für jedes Kind zum Überleben notwendig ist, eine Beziehung zu seinen Eltern/Bezugspersonen aufzubauen. Denn ein Säugling ist ohne Versorgung durch Nahrung und soziale Interaktion nicht lebensfähig bzw. wird schwer in seiner Entwicklung geschädigt (siehe Kaspar-Hauser-Syndrom).
Die unbewusste und ungeprüfte Übernahme von Werten und Normen erleichtert also jedem Kind die Beziehung zu seinem Umfeld. Sie hilft uns von früh auf dabei, in unserem sozialen Umfeld zurechtzukommen und Konflikten aus dem Weg zu gehen, die unsere Beziehungen zu unseren Bezugspersonen gefährden könnten.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ein Introjekt ein verinnerlichter Wert oder eine Regel ist, die ich in meinem Unterbewusstsein als feste Grundannahme abgespeichert habe. Das ist erstmal ganz normal und ein Sozialisierungsprozess von uns Menschen.
Jedoch, kann es im Einzelfall auch dazu führen, das ein Introjekt pathologisch ist. Sprich es hemmt, hindert, oder blockiert uns in unserem Erwachsenenalter.
Beispiele zur Veranschaulichung:
Ein Kind, dessen Vater sehr streng und perfektionistisch ist, könnte dessen kritische Stimme verinnerlichen. Auch als Erwachsener hört diese Person dann bei Fehlern innerlich Sätze wie "Das ist nicht gut genug" oder "Du musst es besser machen" - in einem Tonfall, der dem des Vaters ähnelt. Diese kritische innere Stimme ist ein Introjekt, das unbewusst übernommen wurde und nun Teil der eigenen Persönlichkeit ist, obwohl es ursprünglich von außen kam.
Wahrscheinlich klingt das alles für Dich danach, dass ein Introjekt grundsätzlich etwas Negatives ist, und vielleicht hast Du für Dich jetzt beim Lesen schon den Entschluss gefasst, alle Deine Introjekte aufzudecken und Dich davon zu befreien.
Doch ist ein Introjekt wertfrei. Denn in der Übernahme von Werten und Normen unseres Umfelds steckt eben auch die Fähigkeit, mit unserer Umwelt zu kommunizieren und uns gegenseitig zu verstehen. Es geht sogar noch weiter, denn es gibt auch Introjekte, die Dir sehr hilfreich oder dienlich sein können.
Ein Beispiel: Deine Großmutter hat bei Schwierigkeiten immer in einer sehr ruhigen Stimme gesagt: "Schritt für Schritt, alles hat seine Zeit - in der Ruhe liegt die Kraft". Wenn Du dies als Introjekt aufgenommen hast, kannst Du heute als Erwachsener in stressigen Situationen darauf zurückgreifen und diese Herausforderungen mit mehr Geduld und weniger Angst bewältigen. Du bist mit diesem Introjekt also resilienter gegen Stress und damit besser befähigt, auf Deine Ressourcen zurückzugreifen.
Du siehst also, es verbirgt sich auch viel Potenzial in der Auseinandersetzung mit Deinen Introjekten.
Merkmale von Introjekten:
- Sie entstehen oft in frühen Entwicklungsphasen
- Sie können sowohl positive als auch negative Eigenschaften umfassen
- Sie beeinflussen das Selbstbild und Verhalten ohne bewusste Wahrnehmung
- Sie können in der Psychotherapie sowie Körpertherapie, wie zum Beispiel Atemarbeit, bewusst gemacht und bearbeitet werden
Wie hilft mir das jetzt weiter?
Vor allem möchte ich nochmal auf die Neutralität hinweisen: Ein Introjekt - also die Verinnerlichung von Regeln und Normen - ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach ein natürlicher Prozess unseres Gehirns, uns im Aufwachsen dabei zu helfen, in unserem sozialen Umfeld möglichst gut zurechtzukommen.
Diese inneren und oftmals unbewussten Regeln können uns dennoch blockieren und zurückhalten, wenn Sie als unbewusste Glaubenssätze oder Verhaltensmuster in unseren heutigen Umfeld nicht mehr dienlich sind oder vielleicht sogar hinderlich.
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Ich freue mich auf ein spannendes Gespräch mit dir!
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